Vom "Good Girl" zur ungezähmten Frau: So habe ich es zurück in meine Lebendigkeit geschafft - Teil 1
- Melanie Lotz
- vor 7 Tagen
- 7 Min. Lesezeit
Aktualisiert: vor 13 Stunden

Ein Leben lang habe ich versucht "gut" zu sein: Eine gute Tochter, Schülerin, Freundin, Liebhaberin... Mir war es wichtig, die Erwartungen anderer zu erfüllen - um mir so Anerkennung und Liebe zu verdienen. Bis ich mit Mitte 30 frustriert feststellte: Brav sein bringt mich nicht weiter. Als Embodied Empowerment Coach helfe ich heute Frauen weltweit, sich aus "Good Girl" Mustern wie People Pleasing, Leistungszwang und Perfektionismus zu lösen - und zurück zu einem Leben zu finden, was sie wirklich von tief innen erfüllt.
"Ich habe ein Talent dafür, mich elendig zu fühlen", sagte ich in der ersten Stunde meiner x-ten Psychotherapie. Wie ein Häufchen Elend saß ich denn nun auch da: Mit hängenden Schultern und verzweifeltem Blick. Kraftlos, als ob jegliches Leben aus mir gewichen sei - ich erinnere mich, als ob es gestern gewesen wäre. Dabei hätte eigentlich alles gut sein können: Ich war 35 Jahre alt und lebte mit einer meiner engsten Freundinnen in einer WG in Köln. Seit einigen Jahren arbeitete ich fest angestellt als Redakteurin in einer erfolgreichen Produktionsfirma. Zum ersten Mal in meinem Leben verdiente ich regelmäßig Geld - und fühlte mich so erwachsen wie noch nie zuvor. Nach außen hin wirkte ich denn auch meist fröhlich und selbstbewusst: Ich konnte Menschen schnell für mich gewinnen und hing mich so richtig rein in die Arbeit. Doch hinter der Fassade fühlte ich mich mehr und mehr einsam, frustriert und extrem erschöpft. In meinem Beruf hatte ich mich immer wieder bis ans Limit verausgabt, viel Freizeit und Wochenenden geopfert - und war doch nur auf der Stelle getreten. Auch in der Liebe hatte ich kein Glück: Gerade erst war wieder mal eine Beziehung sehr schmerzhaft zu Ende gegangen. Mein Herz blutete und ich fühlte mich insgesamt innerlich wie zerbrochen. Irgendwas stimmte mit mir einfach nicht, denn ich ich war schon oft an diesem Punkt gewesen: Innerlich fühlte ich nichts außer einem stumpfen, alles-einnehmenden Schmerz. Dieses Mal war jedoch tatsächlich etwas fundamental anders. Zum ersten Mal hatte sich ein neues Gefühl in mir breitgemacht: Ganz langsam hatte es sich aus der Dunkelheit meines Unbewussten bemerkbar gemacht und in eine tiefgreifende Erkenntnis gegossen:
Alle meine Strategien ein glückliches Leben zu führen, haben nicht funktioniert.
Ich hatte schon viele, mutige Wege beschritten: War sogar gegen den Willen meiner Eltern zum Tanzstudium nach Amsterdam gezogen, dort dann aber doch an meinen Selbstzweifeln gescheitert, und schließlich für ein Lehramts-studium wieder zurück nach Deutschland gekommen. Ich hatte mir Geld für Schauspiel- und Stimmunterricht an jedem Finger abgespart, in kleineren Theater- und Performance Projekten mitgewirkt, als Luftakrobatin gearbeitet... und war ständig hin und her getitscht zwischen meiner Sehnsucht nach Tanz und Theater und und meinem eher spießigen Bedürfnis nach Struktur, Halt und Stabilität. Im Beruf der Fernsehredakteurin sah ich dann den Kompromiss zwischen Kreativität und Sicherheit - bis ich mich nach 5 Jahren eben an diesem Punkt wiederfand: Erschöpft. Frustriert. Und leer. Der Gedanke, dass ich mit all diesen Versuchen und Mühen, mich selber glücklich zu machen, letztendlich gescheitert war - das war natürlich einerseits traurig und niederschmetternd. Andererseits hatte er auch etwas tröstendes für mich: Es musste etwas anderes geben, eine völlig andere Art zu leben, von der ich einfach noch nichts wusste. Ich sah es ja an anderen Menschen: Alle kämpften zwar immer mal wieder mit Unsicherheiten oder Frust, aber ich kannte niemanden, der sich dauerhaft SO fehl am Platz im eigenen Leben fühlte wie ich. Ich wollte unbedingt herausfinden, was ich "falsch" machte - und wie es anders gehen könnte. Ich möchte in diesem Artikel mit euch teilen, was ich auf meiner Entdeckungsreise zu mir selbst heraus gefunden habe - sowohl über mich selbst als auch über die Denk- und Verhaltens-Muster, die vielleicht auch dich davon abhalten, dich frei, selbstbestimmt und lebendig zu fühlen.
Die Geburt des "Good Girls": Die Angst, zu viel zu sein, wurde mir schon in die Wiege gelegt
Ich bin als Kind sehr junger Eltern zur Welt gekommen. Meine Mutter war gerade erst 19 geworden, mein Vater erst 24 Jahre alt. Aus heutiger Sicht waren die beiden selbst noch halbe Teenager und mussten schon so früh so viel Verantwortung übernehmen. Meine Familie neckte mich dann auch noch Jahre später damit, dass ich ein "Unfall" gewesen war. Unbewusst trug ich mein Leben lang diese Schuld mit mir herum: Ich hätte gar nicht existieren sollen. Auch als erwachsene Frau kämpfte ich noch damit, mich oft ungewollt, ungesehen und fehl am Platz zu fühlen.
People Pleasing: Gefallen-wollen, um die eigene Existenz wieder gut zu machen
In dem Versuch, mir meine Daseinsberechtigung zu "verdienen", lernte ich schon früh, ein überaus "braves Mädchen" zu sein. Das bedeutete, mich stets an die Erwachsenen in meinem Umfeld anzupassen, deren Regeln zu befolgen und möglichst wenig zusätzliche Mühen oder Sorgen zu bereiten. Da hieß es: Bloß nicht zu viel brauchen, zu schwierig, zu undankbar - oder sonst-wie "zu viel" sein.
Perfektionismus: Mit glänzenden Leistungen Aufmerksamkeit verdienen
Einfach nur lieb, nett und genügsam sein war mir nicht gut genug. Ich spürte den enormen Druck, außergewöhnlich zu sein und mit besonderen Talenten zu glänzen: Wenn ich etwas nicht total super machen konnte, dann machte ich es lieber gar nicht. Ich war eine Einser-Schülerin und bekam trotzdem nach jeder Klassenarbeit noch am gleichen Tag schlimme Bauchkrämpfe. Meine Unsicherheit und Schamgefühle teilte ich lange Zeit mit niemandem und auch später nur mit dem engsten Kreis vertrauter Freunde - denn auch diese "Schwäche" war mir viel zu peinlich.
Stärke beweisen: Zähne zusammenbeissen, aushalten und durchhalten
"Wenn die Erwachsenen sich unterhalten, hat das Kind ruhig zu sein." Erziehungssprüche wie diese haben sich in den 1980er Jahren in meinen Körper eingefräst: Als Glaubenssätze, die ausdrücken, das andere grundsätzlich wichtiger sind als ich. Hinzu kam, dass die Ehe meiner Eltern von viel Streit und Schmerz geprägt war. Ich lernte, als fürsorgliche Trösterin bereit zu stehen - und meine eigenen kindlichen Sorgen größtenteils mit mir selbst auszumachen.
Was mir ewig nicht klar war:
Ich hatte die tiefsitzende Angst, dass ich Gefühle, Bedürfnisse oder Wünsche haben könnte, die für andere ZU VIEL sind.
Daher passte ich mich an und versuchte, alles "richtig" zu machen, um bloß nicht bestraft, abgelehnt oder gar verlassen zu werden. Diese jahrelange Verleugnung meiner eigenen Gefühle und Bedürfnisse führte dazu, dass ich mit 17 Bulimie bekam: eine Essstörung zwischen Übermaß und Mangel, die perfekt meinen Gemütszustand spiegelte. Denn völlig egal, wie viel an Essen ich mir reinstopfte, in mir war ein nicht zu füllendes emotionales Loch.
Das Leben eines "Good Girls": Die Angst, zu viel zu sein, schnürte meinen echten, lebendigen Selbstausdruck ab
Auch als Erwachsene kämpfte ich noch lange mit einem gestörten Verhältnis zu meinem Körper, zu Essen, zu mir selbst. Ohne dass ich es so bewusst mitbekam, begleitete mich die ständige Angst, zu viel zu sein, wie ein schauriger Schatten, der sich als grauer Filter über mein ganzes Erleben legte. Mit ihrem gemeinen Klammergriff schnürte mir diese Angst, dass ich mit meinen Bedürfnissen stören und zur Last fallen könnte, sozusagen von hinten den Atem ab und damit auch meinen echten, lebendigen Selbstausdruck. Ich hielt mich selbst in Rollen gefangen, die ich glaubte, erfüllen zu müssen, um liebenswert zu sein - und opferte dafür ganze Facetten meiner Persönlichkeit. Die Muster meiner Kindheit, mich selbst zurück zu nehmen, um für andere bequem und "aushaltbar" zu sein, zogen sich so durch mein ganzes Leben:
Selbstverleugnung: In Beziehungen zeigte ich zu spät, was ich mir wirklich wünschte
Im Rausch der Begeisterung passte ich mich anfangs völlig an neue Partner*innen an. Ich stellte sie auf ein Podest, himmelte sie an - solange bis ich ich merkte, was mir alles fehlte: Echte Nähe, eine tiefe Verbindung und wahres Interesse für mich und mein Leben. Ich fühlte mich nicht richtig geliebt - doch anstatt zu gehen, versuchte ich verzweifelt, meinen Wert zu beweisen und doch noch die Liebe zu bekommen, nach der ich mich sehnte.
Selbst-Aufgabe: Im Bett richtete ich mich total nach der Lust der Mannes
Ich habe Sexualität wegen der emotionalen Nähe sehr genossen, doch um meine Lust ging es dabei nicht: Viel wichtiger war es, dem Mann zu gefallen. Ich wollte ihn nicht langweilen und anstrengen. Orgasmen bekam ich bis auf seeehr seltene Ausnahmen nur dann, wenn ich alleine war. Das änderte sich erst, als ich mich schließlich in eine Frau verliebte und nicht mehr das Gefühl hatte, im Bett für einen Mann "performen" zu müssen.
Selbst-Sabotage: Ich fühlte mich zu "klein", um meinen großen Visionen gerecht zu werden
Trotz traumhafter Möglichkeiten schaffte ich es nicht, meine Träume umzusetzen. Ich folgte dem, was mich begeisterte, erschuf mir gegen äußere Widerstande unglaubliche Chancen - und verirrte mich dann in meinem Kopf, redete mich selbst klein und nichtig, drehte mich im Kreis, verzweifelte. Ganz so als ob ich es nicht verdiente, meine wahren Talente und Herzenswünsche auszuleben.
Selbstvernachlässigung: Ich strengte ich mich bis zur Erschöpfung an
Stattdessen gab ich in "Geldjobs" alles, und gönnte mir erst dann Pausen, wenn ich völlig erledigt war. Um von anderen gelobt und für "gut" befunden zu werden, war ich bereit, auch noch die letzte Extra Meile zu gehen. Nach der Arbeit hatte ich dann oft kaum noch Energie, um für mich selbst zu sorgen: Für mich einkaufen und kochen, Freundschaften pflegen, Sport machen, Freizeit und Vergnügen einplanen - als auch so wichtige Themen wie Versicherungen und finanzielle Vorsorge - blieben dabei größtenteils auf der Strecke.
Selbst-Mißtrauen: Ich unterdrückte meine Weichheit und Verletzlichkeit
Im Beruf, in der Liebe und im Leben: Ich machte auf "stark", biss viel zu lange die Zähne zusammen und hielt aus, was gar nicht auszuhalten war. Das machte mich hart, raubte mir Energie und schadete meinem Selbstvertrauen, denn ich zweifelte ständig an meiner eigenen Wahrnehmung und dachte, ich stelle mich einfach viel zu sehr an.
Der Abschied vom "Good Girl" ist
All das änderte sich, als ich schließlich kapierte:
Mich anpassen & anstrengen bringt mich nicht weiter. Nur wenn ich den Mut habe, mich so zu zeigen, wie ich wiiirklich bin, kann ich das bekommen, wonach ich mich wiiirklich sehne.
Statt anderen gefallen zu wollen, entdeckte ich einen Weg, das Leben zu erschaffen, was mir gefällt.
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